Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) – Strafverteidigung

§ 129 StGB ist ein Organisationsdelikt: Bestraft wird nicht eine einzelne Tat, sondern die Gründung, Mitgliedschaft, Unterstützung oder Werbung für einen Zusammenschluss, der auf die Begehung bestimmter Straftaten ausgerichtet ist. Das macht das Verfahren beweis- und eingriffsintensiv – zugleich ist die Norm politisch umstritten, weil sie frühzeitig weitreichende Ermittlungsbefugnisse öffnet. 

I. Gesetzliche Grundlagen – komprimierter Überblick

  • Tatbestand (§ 129 Abs. 1 StGB): Strafbar ist, wer eine Vereinigung gründet oder ihr als Mitglied angehört, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten mit einem Höchstmaß von mindestens zwei Jahrengerichtet ist; Unterstützen oder Werben ist gesondert erfasst. Versuch der Gründung ist strafbar. Rädelsführer/Hintermänner: Regelbeispiel für den besonders schweren Fall (höherer Strafrahmen). 

  • Vereinigungsbegriff (§ 129 Abs. 2 StGB): Auf Dauer angelegter organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses; feste Rollen/strenge Hierarchie sind nicht erforderlich

  • Ausschlüsse (§ 129 Abs. 3 StGB): Parteienprivileg, untergeordnete Straftaten, sowie Sonderfälle (§§ 84–87 StGB). Minder schwere Fälle, Absehen von Strafe und tätige Reue sind ausdrücklich geregelt. 

II. Abgrenzungen & Kernelemente (Praxis)

1) Vereinigung vs. Bande

Die Bande ist (vereinfacht) eine eher lose Tätergruppe; die Vereinigung setzt einen erhöhten Organisationsgrad und ein übergeordnetes gemeinsames Interesse voraus (z. B. weltanschaulich/politisch oder auf systematische Gewinnerzielung ausgerichtete Strukturen). Für Wirtschaftskriminalität hat Rechtsprechung und Literatur Kriterien herausgearbeitet (Organisation, interne Regeln/Sanktionen, Bestand jenseits einzelner Personen, Gemeinschaftskasse etc.). 

2) Zweck/Tätigkeit – „Straftaten von Gewicht“

Seit der Reform ist die Schwelle gesetzlich konkretisiert (Höchstmaß ≥ 2 Jahre). In der Anwendung bleibt wichtig, dass die Vereinigung nicht nur gelegentlich Straftaten fördert; untergeordnete Delinquenz reicht nicht. 

3) Mitgliedschaft/Unterstützung/Werbung

Mitgliedschaft verlangt Einordnung in die Organisation. Unterstützen ist ein eigenständiges Delikt (auch für Nichtmitglieder), wenn die Handlung die Gefährlichkeit/Handlungsfähigkeit der Vereinigung konkret fördert; Werbung zielt auf Gewinnung von Mitgliedern/Unterstützern. 

III. Ermittlungsbefugnisse & Eingriffsintensität

Schon der Anfangsverdacht nach § 129 kann Katalogmaßnahmen eröffnen (z. B. Telekommunikationsüberwachungnach § 100a StPO, ggf. weitere verdeckte Maßnahmen bei zusätzlichen Voraussetzungen). Das Bundesverfassungsgericht betont die Schwere solcher Überwachungen und die strengen Voraussetzungen; § 129 ist insoweit Katalogtat. In der Praxis wird dies als „Türöffnerfunktion“ diskutiert. 

IV. Politische Dimension & Kontroverse

  • Aktuelle Verfahren gegen Klima-Aktivisten („Letzte Generation“): Das LG München I hat 2023/2024 einen Anfangsverdacht nach § 129 für Ermittlungsmaßnahmen bejaht; u. a. wurden TKÜ-Maßnahmen und Durchsuchungen gestützt. Es handelt sich nicht um eine Schuldfeststellung, aber um eine rechtlich bedeutsame Eingriffsschwelle

  • Kritik aus Zivilgesellschaft & Wissenschaft: Organisationen und Fachbeiträge monieren, § 129 werde weitausgelegt und diene zur Ausleuchtung von Strukturen (Netzwerke, Kommunikationswege), mit Chilling-Effekten auf Presse-/Meinungsfreiheit, wenn z. B. Pressetelefone mitüberwacht werden. 

  • Gegenposition: Strafverfolger verweisen auf den präventiv-repressiven Schutz vor organisiertem, arbeitsteiligem Rechtsbruch; die Norm sei seit der Reform an EU-Vorgaben ausgerichtet und auf erhebliche Delinquenz beschränkt. 

Fazit zur Debatte: § 129 bleibt ein scharfes Ermittlungsinstrument mit politischer Sprengkraft: rechtlich zulässig, aber verhältnismäßig anzuwenden. Für die Verteidigung ist es zentral, Definition, Schwellen und Zuordnung eng zu prüfen.

V. Typische Fallkonstellationen

  • Politisch oder ideologisch motivierte Gruppen mit wiederkehrenden, arbeitsteiligen Straftaten (z. B. koordiniertes Stören kritischer Infrastrukturen). Streitpunkte: übergeordnetes Interesse, Organisationsgrad, Gewicht der Bezugstaten. 

  • Organisierte Wirtschaftskriminalität (z. B. großangelegte Abrechnungs-/Betrugssysteme, Hawala-Banking, Call-Center-Fraud): Abgrenzung Bande vs. Vereinigung, Kriterienkatalog der Rspr./Literatur. 

  • Rocker/Clan/Ultra-Strukturen (je nach Einzelfall): Prüfung, ob nur Tatabreden oder eine Vereinigung mit übergreifendem Interesse und Stabilität vorliegt (keine „Automatik“). 

VI. Verteidigungsstrategie – systematisch & aktenbasiert

  1. Vereinigung ja/nein?

    Organisationsgrad, Dauer, Personenzahl, übergeordnetes gemeinsames Interesse streng subsumieren; nur lose Tatabreden genügen nicht. 

  2. Zweck/Tätigkeit/Schwere

    Liegt wirklich eine Ausrichtung auf Straftaten (Höchstmaß ≥ 2 Jahre) vor oder sind diese untergeordnet (§ 129 III Nr. 2)? 

  3. Mitgliedschaft vs. Unterstützung

    Abgrenzung der Rollen; Unterstützung erfordert eine konkrete Förderwirkung auf Struktur/Handlungsfähigkeit. 

  4. Eingriffsverteidigung

    TKÜ/Quellen-TKÜ/Durchsuchung auf Zulässigkeit/Verhältnismäßigkeit prüfen (Anlass, Dauer, Kernbereichsschutz, Dokumentation). Ggf. Beweisverwertungsverbote. 

  5. Prozessuale Ziele

    Frühzeitig Akteneinsicht, Sachverhaltsalternativen, Trennung von Einzeltaten, Einstellung (§§ 153, 153a StPO) bei Randbeteiligung; minder schwerer Fall oder Absehen (§ 129 VI/VII) je nach Mitwirkung.

VII. Verhaltenstipps für Beschuldigte

  • Schweigen – keine Angaben zur Sache ohne anwaltliche Beratung.

  • Beweise sichern – Geräte-Backups, Kommunikations-/Kalenderverläufe, Reiserouten, Chat-Metadaten.

  • Strukturabgrenzung dokumentieren – eigene Rolle, fehlende Einbindung in Organisation, spontane Einzeltaten vs. „Programm“.

  • Frühe Verteidigung – Akteneinsicht, Prüfung der Eingriffsschwellen und Normzuordnung.

FAQ – Häufige Fragen

Was unterscheidet eine kriminelle Vereinigung von einer Bande?

Die Vereinigung verlangt mehr: Dauer, Organisation und ein übergeordnetes gemeinsames Interesse; die bloße wiederholte Tatabrede genügt nicht. 

Reicht „gelegentliche“ Delinquenz für § 129?

Nein. Untergeordnete Straftaten genügen nicht (§ 129 III Nr. 2). Es braucht eine tragende Ausrichtung der Vereinigung auf Straftaten (Höchstmaß ≥ 2 Jahre). 

Warum ist § 129 politisch umstritten?

Weil schon der Anfangsverdacht weitreichende Überwachung (z. B. TKÜ) ermöglichen kann; Kritiker sehen eine Ausforschungs-/„Türöffner“-Funktion und mögliche Chilling-Effekte auf Zivilgesellschaft und Presse. 

Ist der Anfangsverdacht bei Klima-Protesten schon gerichtlich bestätigt?

Ja, etwa durch das LG München I (Beschluss 16.11.2023) für Ermittlungsmaßnahmen – keine Schuldfeststellung, aber relevante Eingriffsbefugnisse

Welche Strafen drohen?

Grundtatbestand bis 5 Jahre (Mitgliedschaft/Gründung), bis 3 Jahre für Unterstützung/Werbung; Rädelsführer/Hintermänner: besonders schwerer Fall. In qualifizierten Konstellationen (Bezug zu schweren Katalogtaten) bis 10 Jahre

Fazit

§ 129 StGB rückt den Struktur-Nachweis ins Zentrum: Vereinigung (Organisation, Dauer, gemeinsames Interesse) und Ausrichtung auf Straftaten von Gewicht. Zugleich eröffnet der Anfangsverdacht tiefe Ermittlungen – rechtlich zulässig, politisch umkämpft. Verteidigung bedeutet: Definitionen eng führen, Eingriffe kontrollieren, Rollen differenzieren – mit dem Ziel Einstellung, Freispruch oder spürbare Milderung.

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Hier gehts zu weiteren Tatvorwürfen:

Betrug, § 263 StGB

Raub & räuberische Erpressung, §§ 249 ff. StGB

Nötigung, § 240 StGB